Page 10 - KOMPASS Freising 2022
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natürlich zu einer verfälschten Wahrnehmung“, so Lombardi. „Deshalb muss sich diese Einstellung in einer Beziehung wandeln zu ‚Ich bin okay und Du bist okay‘.“ Wie liebevoll ein Paar miteinander umgeht und kommuniziert, hängt aber auch von Erfahrungen aus der Kindheit ab. Dabei spiele vor allem die Beziehung der eigenen Eltern eine große Rolle, meint der Psychologe. „Wenn die Eltern oft zickig zueinander waren, ist das für ein Kind ein Vorbild. Dann sucht es sich später auch eher je- manden, den man anzicken kann.“ Ein solches Muster zu durchbrechen, sei ohne Psychotherapie schwierig.
Liebesglück trotz Zickereien?
Dennoch sind spitze Bemerkungen und Streiter- eien bei manchen Paaren an der Tagesordnung. Und als Außenstehender könnte man meinen, dass diese Paare unmöglich eine glückliche Beziehung führen können. Trotzdem bestehen einige dieser Partnerschaften schon seit Jahrzehnten. „Gerade bei Älteren ist das manchmal tatsächlich ein ge- festigtes Beziehungsmodell“, sagt Oliviero Lombar- di. „Wenn bei diesen Paaren die Sticheleien aufhö- ren, fehlt das bindende Element – auch, wenn die- ses Element destruktiv ist.“ Grundsätzlich aber, sagt der Psychologe, sei die Grenze der Gemeinheiten in einer Partnerschaft da erreicht, wo für einen von beiden „das Leid zu groß wird“. Dann brauche es zur Rettung der Beziehung meist professionelle Unterstützung von einem Therapeuten. Aber auch schon kleine Neckereien könnten destruktiv sein und dazu führen, dass eine Partnerschaft auf Dau- er leide. „Es ist grundsätzlich nie gut, sich gegen- seitig anzuzicken, weil sich da mit der Zeit etwas aufstaut und einer von beiden irgendwann nicht mehr mit der Situation klarkommt“, sagt der Paar- therapeut.„Auch deshalb geht jede zweite Ehe zu Bruch.“
Gewaltfreie Kommunikation
Wichtig sei deshalb eine „gewaltfreie Kommuni- kation“ – mit weniger Vorwürfen und Angriffen
und mehr Wertschätzung dem anderen gegen- über. Zum Beispiel sei es bei Konflikten stets bes- ser, „Ich-Botschaften“ zu senden. Denn während ein vorwurfsvolles „Du lässt immer Deine Socken überall liegen“ vom Gegenüber als Angriff verstan- den wird, wirkt ein „Ich würde mich freuen, wenn Du Deine Socken immer gleich in die Wäscheton- ne werfen könntest“ doch gleich viel friedlicher. „Mit Du-Botschaften stülpe ich meinem Partner meine Realität über und greife ihn an“, erläutert der Paartherapeut. „Mit einer Ich-Botschaft tue ich das nicht.“ Auch sarkastische Bemerkungen sind fehl am Platze. Statt eines „Wie schön, dass du mal pünktlich kommst“ ist es sinnvoller, sachlich und freundlich zu sagen, was einen stört und welche Veränderungen man sich wünscht. So stehen die Chancen auch wesentlich besser, dass der Partner zu einer Veränderung bereit ist. Diese gewaltfreie Form der Kommunikation könne man üben, sagt Lombardi. „Indem man es tut und indem man dem anderen sagt, dass man ihn liebt, ihn unter- stützt und Gespräche führt. Denn das führt auch zu mehr Wertschätzung in der Beziehung.“ Und die gelte es auch in stressigen Situationen zu be- wahren. Wer damit Probleme hat, kann gewaltfreie Kommunikation auch in einer Paartherapie lernen. „Denn oft fehlt uns einfach das Instrumentarium, um mit Konflikten richtig umzugehen“, sagt der Therapeut.
Abkühlen und nett sein
Doch selbst dann, wenn sich beide Partner gegen- seitig wertschätzen und auf Augenhöhe begeg- nen – einen Streit kann es trotzdem geben. Und das ist auch legitim. Oliviero Lombardi empfiehlt Paaren, nach einem Streit einen „Break“ zu ma- chen, also eine kurze Pause, in der sich beide wie- der beruhigen können. Denn wer Recht hatte und wer nicht, lässt sich nach einem Streit oft sowieso nicht sagen. Und mit einem abgekühlten Gemüt kann man nicht nur wieder besser aufeinander zu- gehen, sondern dem Partner auch ebenso nett be- gegnen wie dem besten Freund oder der besten Freundin. Vielleicht sogar ein bisschen netter.
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